Erhard Eppler schreibt in der aktuellen Ausgabe des Vorwärts:
Hans-Jochen Vogel zum 90: Ordnung ist das ganze Leben
Dabei würden die zwölf Jahre als Oberbürgermeister von München schon viele Seiten füllen, die Wahl des 34-Jährigen, seine triumphale Wiederwahl. Wer heute, ein halbes Jahrhundert danach, mit ihm durch München geht und in die Gesichter der älteren Menschen sieht, die ihn freundlich, oft strahlend begrüßen, der kann ahnen, was er für die bayerische Hauptstadt bedeutet hat. Hier ist er zuhause, in seiner Stadt, die er mit geprägt hat.
Als Justizminister gefordert wie kaum ein zweiter
Dann wäre von dem Bundesminister zu reden, erst im Kabinett Brandt „für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau“, wo er seine Münchner Erfahrungen verwerten konnte, schließlich als Justizminister von 1974 bis 1981 im Kabinett Schmidt. Kaum ein Justizminister ist so gefordert und geprüft worden wie er, als fanatisierte Studenten allen Ernstes glaubten, mit Entführungen und Morden die Revolution gegen das verhasste „System“ auslösen zu können. Ihm blieb es nicht erspart, zwischen der Rettung eines Menschen und der Autorität des Rechtsstaates zu wählen.
Und schließlich war Hans Jochen Vogel nicht nur acht Jahre lang Vorsitzender einer Bundestagsfraktion, die Chefs vom Rang eines Fritz Erler, Helmut Schmidt und Herbert Wehner gewohnt war, er war auch, als direkter Nachfolger von Willy Brandt, von 1987 bis 1991 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, erst der westdeutschen, dann der gesamtdeutschen Partei. Im Rückblick wird man sagen können: Leider nur bis 1991, denn die Generation, der er, bescheiden wie immer, Platz machte, hat erst erkennen lassen, was wir an Vogel hatten.
Hans-Jochen Vogel wäre ein guter Kanzler gewesen
Es stimmt, Jochen Vogel hat auch für die Kanzlerschaft kandidiert, nachdem Helmut Kohl durch ein konstruktives Misstrauensvotum und das Umschwenken der FDP Kanzler geworden war. So wusste Vogel, dass die seine Chancen begrenzt waren, vielleicht auch, dass man, um Kanzler zu werden, andere Stärken braucht als um Kanzler zu sein. Er verlor erwartungsgemäß. Aber er wäre ein starker, gewissenhafter, guter Kanzler geworden.
Jeder Politiker hat auch seine schwachen Seiten. Wenn ihm das schlimmste Laster der Politik, die Eitelkeit, fremd ist – und das ist bei Vogel der Fall -, dann findet man es in Kleinigkeiten. Bei ihm waren es die Klarsichthüllen, in die er seine Weisungen, seine Anregungen, seine Gesprächsergebnisse verpackte. Dabei ging es ihm einfach um einen geordneten Betrieb. Politik war für ihn verantwortliches Handeln für andere, für das Ganze, und das duldete keine Schlamperei.
Ein Denken und Leben in Ordnung
Ordnung, das ist ein Stichwort, das in der politischen Geographie eher rechts als links gilt. Aber wahrscheinlich hat Politik immer auch eine ordnende Funktion. Sie muss sagen, was Recht und was Unrecht ist, wo die Freiheit des einen an der Freiheit des anderen ihre Grenze findet, wo jede und jeder mit Strafe rechnen muss und wo nicht. Politik hat das Chaos zu meiden, zu bändigen, zu verhindern. Der Staat ist immer der Versuch einer Ordnung, im besten Fall einer menschenfreundlichen.